Die Arbeitsverhinderungen der Arbeitnehmer werden in der Regel durch ein ärztliches Zeugnis belegt. In bestimmten Fällen kann der Arbeitgeber jedoch die behauptete Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers überprüfen. Die vertrauensärztliche Untersuchung ist ein Mittel dafür.
Definition von Arbeitsunfähigkeit
Arbeitsunfähigkeit (AUF) ist die durch Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit bedingte volle oder teilweise Unfähigkeit, im bisherigen Beruf oder Aufgabenbereich zumutbare Arbeit zu leisten.
(Allgemeiner Teil des Sozialversicherungsrechts ATSG Art. 6)
Die bisher ausgeübte Tätigkeit im Beruf oder Aufgabenbereich kann infolge eines Gesundheitsschadens nicht mehr bzw. nur noch in beschränktem Masse bzw. nur noch unter der Gefahr einer Verschlimmerung des Gesundheitszustands ausgeübt werden. Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ist Sache der Ärzte, sie wird in Prozenten geschätzt.
Was bedeutet zumutbare Arbeit und Schadenminderungspflicht?
Nach allgemein anerkannter Auffassung geht es bei der Zumutbarkeit um die Frage, ob man von einem Menschen ein bestimmtes Verhalten erwarten darf, selbst wenn dieses Unannehmlichkeiten mit sich bringt und gewisse Opfer abverlangt. Gesetzlich werden dem Versicherten nämlich die Pflicht zur Mitwirkung und zur Schadenminderung auferlegt, was bedeutet, dass er im Hinblick auf eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess das ihm Zumutbare beizutragen hat.
Art.21 ATSG: … entzieht sich der Versicherte einer zumutbaren Behandlung oder Eingliederung, die eine wesentliche Verbesserung der Erwerbsfähigkeit oder neue Erwerbsmöglichkeiten verspricht…können Leistungen verweigert werden
Nicht zumutbar ist, was Gefahr für Leben und Gesundheit darstellt.
Das subjektive Empfinden einer Person bei der Beurteilung der Zumutbarkeit, eine Arbeitsleistung zu erbringen, ist nicht massgebend. Zumutbarkeit ist als Ausdruck einer zu erwarten- den Willensanstrengung bzw. Willensanspannung zu verstehen, die nötig wäre, um allfällige Erschwernisse – z. B. Schmerzen, psychische Belastungen, eine massvolle Änderung der Lebensgewohnheiten, einen sozialen Abstieg, finanzielle Einbussen, weniger Freizeit – zu überwinden.
Auch gemäss den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) von Taggeldversicherungen haben die versicherten Personen alles zu unternehmen, was die Genesung fördert und alles zu unterlassen, was sie verzögert. Insbesondere
muss die versicherte Person alles vermeiden, was den Heilungsverlauf gefährdet oder die Wiedererlangung der
Arbeitsfähigkeit verzögert. Werden die medizinischen Abklärungen ohne ärztliche Begründung nicht begonnen oder ohne ärztliche Begründung abgebrochen können die Versicherungsleistungen vorübergehend oder dauernd gekürzt oder in schwerwiegenden Fällen verweigert werden, wenn die versicherte Person die gebotenen Obliegenheiten oder Pflichten in nicht entschuldbarer Weise verletzt.
Die juristischen Auswirkungen einer Arbeitsunfähigkeit
Trotz ausbleibender Arbeitsleistung besteht bei Krankheit oder Unfall Anspruch auf Lohnfortzahlung. Zu berücksichtigen ist auch die Kündigungssperrfrist gemäss Artikel 336c OR, die besagt, dass eine Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit während einer bestimmten Zeit nicht möglich ist. Der Arbeitsgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, die behauptete Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters zu überprüfen, da diese Schutzrechte manchmal missbräuchlich genutzt werden können. Es gibt die Möglichkeit, eine vertrauensärztliche Untersuchung durchzuführen. Es liegt in der Verantwortung des Mitarbeiters, den Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit zu erbringen. In der Regel wird der Nachweis durch ein Arztzeugnis des Mitarbeitenden erbracht. Ein Arztzeugnis hat eine enorme Beweiswirkung. Es ist jedoch kein unbestrittenes Beweismittel.
Zweifel an der behaupteten Arbeitsunfähigkeit
Gemäss der Rechtsprechung hat der Arbeitgeber das Recht, eine vertrauensärztliche Untersuchung anzuordnen, wenn es objektive Anhaltspunkte gibt, die berechtigte Zweifel an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses aufkommen lassen. Ein Arzt, der von der Arbeitgeberin auf Kosten des Arbeitgebers beratend hinzugezogen wird, um den Grad der behaupteten Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu untersuchen, wird als Vertrauensarzt bezeichnet.
Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an der vertrauensärztlichen Untersuchung aufgrund der allgemeinen Treuepflicht des Mitarbeiters und des Weisungsrechts der Arbeitgeberin. Es ist nicht unbedingt notwendig, eine explizite Grundlage im Vertrag zu haben. Trotzdem empfiehlt es sich in der Praxis, im Arbeitsvertrag schriftlich die Option einer vertrauensärztlichen Untersuchung festzuhalten. Der Nutzen zeigt sich in der Klarheit für beide Seiten und in der höheren Akzeptanz der Mitarbeiter. Es ist wichtig zu beachten, dass selbst eine vertraglich vereinbarte Regelung bezüglich einer vertrauensärztlichen Untersuchung die Arbeitgeberin nicht von berechtigten Zweifeln befreit. Es wäre daher nicht erlaubt, eine vertrauensärztliche Untersuchung ohne Zweifel und ohne spezielle Vorgeschichte anzuordnen.
Das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters schränkt sowohl die Treuepflicht des Mitarbeiters als auch das Weisungsrecht des Arbeitgebers ein. Dementsprechend sind objektive Hinweise erforderlich, um eine vertrauensärztliche Untersuchung zulässig zu machen. Diese Hinweise sollten die Arbeitgeberin nicht an der Richtigkeit eines Arztzeugnisses zweifeln lassen. Gemäß der Praxis können folgende Umstände als objektive Anhaltspunkte angesehen werden:
- ein übermässig rückdatiertes oder unleserliches Arztzeugnis
- ein Mitarbeiter wird trotz Krankheit bei Freizeitaktivitäten gesehen
- häufige Arztwechsel
- sich widersprechende Arztzeugnisse
- ein Arztzeugnis, das ausschliesslich auf den Angaben des Patienten basiert
- Auffälligkeiten bezüglich Zeitpunkt, Häufigkeit und Dauer der Arbeitsunfähigkeit.
In solchen Situationen ist es angemessen, eine Vertrauensarztuntersuchung durchzuführen.
Falls es objektive Hinweise gibt, wird sowohl die Rechtsprechung als auch ein Teil der Lehre vorgeschlagen, dass die Aufforderung einer vertrauensärztliche Konsultation unmittelbar erfolgen sollte. Es ist nämlich so, dass der Beweiswert der vertrauensärztlichen Untersuchung mit der Zeit abnimmt.
Durchführung der vertrauensärzlichen Untersuchung
Falls die oben genannten Bedingungen erfüllt sind, muss der Mitarbeiter in der Regel an der Untersuchung teilnehmen. Jedoch hat der Angestellte die Möglichkeit, in begrenztem Umfang Einwände gegen die Einladung zur Konsultation eines Vertrauensarztes zu erheben, wie beispielsweise Vorbehalte gegen die Person oder das Geschlecht des Vertrauensarztes (nicht grundsätzlich gegen die Fachdisziplin) oder mit dem Hinweis auf eine mögliche Transportunfähigkeit. Dies bedeutet nicht, dass die Verpflichtung zur vertrauensärztlichen Untersuchung ausfällt. Es liegt jedoch in der Verantwortung des Arbeitgebers, berechtigte Einwände zu beseitigen. Um zeitverzögernde Einreden zu vermeiden, sollte die Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung schriftlich erfolgen und einen bestimmten Inhalt aufweisen, wie z.B. den Hintergrund und Zweck der Untersuchung sowie die Informationen zur Kostentragung. Die Kosten für die vertrauensärztliche Untersuchung gehen auf die Arbeitgeberin. Auch der Weg zum Arzt wird als Kosten für den Arbeitgeber angesehen. Wenn eine Arbeitsverhinderung als nicht bestehend angesehen wird, hat der Arbeitgeber das Recht, die Kosten und den bezahlten Lohn vom Arbeitnehmer zurückzufordern.
Informationsanspruch des Arbeitgebers
Der Datenschutz im Arbeitsvertrag begrenzt den Informationsanspruch der Arbeitgeberin. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nur in dem Umfang informiert werden muss, in dem die Ergebnisse der Untersuchung das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrags erforderlich sind. Dazu gehören der Grad und die vermutete Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die Art der Arbeitsunfähigkeit (Krankheit, Unfall, Schwangerschaft/Mutterschaft), alternative Beschäftigungsmöglichkeiten, der Kausalzusammenhang mit einer früheren Krankheit oder einem früheren Unfall oder die Frage, ob die Beschäftigung des Mitarbeitenden andere Mitarbeitende im Unternehmen gefährdet. Der Vertrauensarzt ist jedoch nicht verpflichtet, die Arbeitgeberin über den Befund, die Diagnose oder den weiteren Gesundheitszustand des Mitarbeiters zu informieren.
Der beigezogene Vertrauensarzt hat das ärztliche Berufsgeheimnis und kann aufgrund einer Entbindungserklärung des Mitarbeitenden davon befreit werden. Es ist auch möglich, dies stillschweigend zu tun. Es ist notwendig, dass der Zweck der Untersuchung dem Mitarbeiter ersichtlich war, der ihm durch die Arbeitgeberin bei der Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung mitgeteilt wurde. Es ist absolut unzulässig, pauschale Vertragsklauseln zu verwenden, die den Mitarbeiter dazu zwingen, den Vertrauensarzt vom Berufsgeheimnis zu entbinden. Es ist nicht erlaubt, eine solche Regelung einzuführen, da sie direkt das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters verletzt.
Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit
Es ist von Bedeutung, ob die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters auf den Arbeitsplatz bezogen oder auf eine allgemeine Art beruht, das heisst ob sie nur auf die spezifische Stelle begrenzt ist. Gemäß der Praxis ist der Sperrfristenschutz gemäss Artikel 336c Absatz 1 Linie b des OR bei einer Arbeitsunfähigkeit auf dem Arbeitsplatz nicht anwendbar. Es ist weiterhin möglich, eine Kündigung bei Arbeitsunfähigkeit auf dem Arbeitsplatz durchzuführen. Das bedeutet, dass der Mitarbeiter auf dem übrigen Arbeitsmarkt nicht eingeschränkt ist, wenn seine Arbeitsunfähigkeit ausschliesslich auf dem Arbeitsplatz beruht, gemäss Artikel 336c OR. Es wird empfohlen, dass Arbeitgeberinnen bei ihrer vertrauensärztlichen Untersuchung - insbesondere bei psychologisch begründeter Arbeitsunfähigkeit - feststellen lassen, ob die Arbeitsunfähigkeit auf den Arbeitsplatz zurückzuführen ist.
Was passiert, wenn der Mitarbeiter die Untersuchung verweigert?
Bei einer unbegründeten Ablehnung durch den Mitarbeiter (vorerst bis zu einer gerichtlichen Überprüfung) hat der Arbeitgeber das Recht, die Lohnfortzahlungspflicht einzusetzen. Es ist jedoch erforderlich, diese Konsequenz frühzeitig anzudrohen, was durch eine schriftliche Aufforderung zur vertrauensärztlichen Untersuchung erreicht werden kann. Es besteht die Möglichkeit, zusätzliche Disziplinarmassnahmen wie einen Verweis oder eine Kündigung zu ergreifen, um diese Pflicht zu erfüllen.
Widersprechende Ergebnisse – Wer hat Recht?
Es stellt eine Herausforderung dar, wenn die Ergebnisse des Arztes des Mitarbeiters und des Vertrauensarztes nicht übereinstimmen. Es ist ratsam, in solchen Situationen den Mitarbeiter zuerst dazu aufzufordern, zur entsprechenden vertrauensärztlichen Bewertung zu äußern. Dies verringert das Risiko, dass die Arbeitgeberin die behauptete Arbeitsunfähigkeit nicht ausreichend untersucht hat. Das Arbeitsgericht muss letztendlich entscheiden, ob das Untersuchungsergebnis relevant ist, also ob eine Lohnfortzahlung erforderlich ist oder nicht.
Falls es zu einem Streit kommt, stellt das Gericht auf das qualifiziertere Arztzeugnis ab. Die Beweiswürdigung des Gerichts berücksichtigt die Qualität und Aussagekraft der Befunde, ihre allgegenwärtige Qualität, das spezifische Fachwissen der Ärzte sowie die Häufigkeit, Tiefe und Zeitnähe der Untersuchungen. Es ist ratsam für beide Parteien, im Prozess ihren eigenen Arzt als Zeuge einzuladen. Das Gericht wird häufig ein unabhängiges Gutachten einholen. Die Schlussfolgerungen der Gutachterstelle bringen nicht immer die gewünschte Klarheit, da die Bewertung normalerweise erst Monate oder Jahre nach der umstrittenen Arbeitsunfähigkeit durchgeführt wird. Falls weder das eine noch das andere nachgewiesen werden kann, trägt dies die Verantwortung für den Beweis, in diesem Fall der Mitarbeiter. Es besteht kein Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht nachgewiesen werden kann.
Schlussfolgerung
Wenn sie richtig durchgeführt wird, bietet die vertrauensärztliche Untersuchung den Arbeitgebern eine schnelle Möglichkeit, die Arbeitsfähigkeit ihrer Mitarbeiter zu überprüfen. Erfahrungsgemäss werden die Befunde des Arztes der Mitarbeiter selten vollständig revidiert. Die Arbeitgeberin erhält durch die vertrauensärztliche Untersuchung entweder die Gewissheit, dass eine behauptete Arbeitsunfähigkeit tatsächlich vorliegt, oder einige Gründe, um die Lohnfortzahlung abzulehnen.